Foto: Pixabay/Stephanie Pratt

Ab und zu erfasst Wolfgang Nell stilles Staunen, wenn bei manchen Mitmenschen/Miteltern irgendwie alles zu klappen scheint.

Die Geldbeträge für diverse Schulveranstaltungen werden rechtzeitig einbezahlt. Die Kinder geben die Jausenboxen und das Schwimmzeug aus den Schultaschen und die Hausübungen werden sorgfältig und selbständig erledigt. Die Eltern wissen um alle Sorgen ihrer Kleinen und haben bei deren Fragen eine vernünftige Antwort. Selbst bei heiklen Themen über Mobbing und Gewalt an den Schulen ihrer Kinder halten sie mit klaren Worten dagegen: “Nein, … meine Kinder tun so etwas nicht und sind, Gott zum Lobe, auch nicht davon betroffen!”

Außerdem hält sich die Spielzeit ihrer Sprösslinge mit den diversen Spielkonsolen in ausgewogener Balance zu Sport, Brettspielen, Herumtollen im Wald und Lesen.

Höre ich da aus dem Munde der guten Eltern die Wahrheit sprechen oder könnte es sein, dass möglicherweise nicht alles ganz so perfekt ist?

Wir haben am Beginn unserer Elternschaft unserem Umfeld nicht immer die ganze Wahrheit erzählt. Inmitten dieser existentiellen Grenzerfahrung von Schlafentzug und Verwunderung über den Wandel des Alltags war vieles anders. Wir hatten eine andere Vor-stellung.

Ich höre noch die Stimmen: “Meine kleine Mirjam isst alles! Unser Leo schläft durch! Lea braucht schon lange keine Windel mehr!”. Bei uns war es anders. Kein Kind hat mehr als drei Stunden in einem Stück durchgeschlafen. Hatten wir Fehler gemacht? Erst viele Jahre später erlauschte ich im freundschaftlichen Gespräch mit anderen Eltern die Wirklichkeiten mit-geteilter schlafloser Nächte.

Natürlich gibt es diese Familien, in denen vieles gut läuft, die Großeltern eine große Stütze sind und die Babys durchschlafen. Doch so sehr ich diese Familien um ihr kleines Glück beneide, so sehr bewundere ich jene Seite der Elternschaft, die offen zugibt, dass nicht immer alles easy ist.

Das gängige Narrativ ist oft die Huldigung eines Ideals. Da das Perfekte eigentlich kaum erreichbar ist und trotzdem so wunderbar über den zuckerlrosa gefärbten Elternhimmel schwebt, bleibt einem oftmals bloß das Schweigen über das Scheitern.

Das muss aber nicht sein, wenn wir Väter und Mütter uns gegenseitig mit Humor und Lachen zu erzählen beginnen, dass in unserem Leben nicht alles perfekt sein kann. Bin ich ein schlechter Vater, weil ich einen verfaulten Apfel aus den tiefen Abgründen der Schultasche hervorhole oder es einfach nicht schaffe, im Alltag mit drei Kindern regelmäßig durch den Wald zu streifen?

Nein, ich bin kein schlechter Vater. Aber ich gebe ehrlich zu, dass ich oft am Ideal des perfekten Vaters scheitere, weil ich zu wenig mit anderen Eltern über ihr Scheitern ins Reden kommen. Es tut gut, von anderen zu hören, dass bei ihnen auch ab und zu die Jausenboxen auf dem Frühstückstisch liegen bleiben und sie nächtens schlaflos grübeln wie sie ihr Kind nach schlechten Noten wieder trösten können.

Diese Erzählungen und offenherzigen Gespräche relativieren bei mir ein zu hohes Ideal am Perfekten. Übrig bleibt dann ein zärtliches Schmunzeln über die mit-geteilten schlaflosen Nächte ….und über die Angst des Scheiterns.

Wolfgang Nell (47), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 6, 9 und 12 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.