Foto: Fotolia/mokee81

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“Können Männer eigentlich weinen?”, ist die Frage, die derzeit Wolfgang Nells Kinder beschäftigt. Im Papa-Blog reflektiert er über das männliche Vermögen, vor anderen Tränen zu vergießen. Weinen Männer wirklich am liebsten heimlich, wie schon Herbert Grönemeyer sang?

“Können Männer eigentlich Weinen?”, fragt mein Sohn. Natürlich weinen Männer.
“Warum habe ich dich noch nie weinen gesehen?”, will er wissen. Sicher habe ich schon vor dir geweint. “Nein, … sicher nicht, Papa!”

Ich war so fest davon überzeugt, dass ich meiner Gefühlswelt inmitten der Familie freien Lauf lasse. Hab ich wirklich nie geweint? Ich kenne doch so viele Situationen und Momente, in denen mir zum Weinen war. Die schlaflosen Nächte und die Phasen der Magen-Darm-Erkrankungen, die Klinikaufenthalte der Kinder oder wenn ich einfach viel zu streng auf einen der kleinen Kinderstreiche reagiert habe. Es gab ja auch einige Todesfälle im engeren Umfeld – dass ich da nie vor meinen Kindern geweint habe, eigenartig.

Ich sage zu meinem Sohn, dass ich heimlich weine, im Stillen. “Warum?”, fragt er, und ich frage ihn, was er darüber denkt. Er hat noch nie erwachsene Männer weinen gesehen: “Euch ist es peinlich!”

Nein, mir ist das Weinen eigentlich nicht peinlich. Okay, da gab es diesen Film “Der letzte Mohikaner” mit einer herzzerreißenden Szene der unerfüllten Liebe. Ich habe damals neben meiner Freundin ein heftiges Schluchzen nicht mehr unterdrücken können. Mir war es wirklich peinlich und sie hatte auch in Tränen getränkte Augen.

Wann und wo habe ich weinende Männer gesehen?
Beim Sport habe ich das Glitzern abgesonderter Augenflüssigkeit bei Männern beobachten können, wenn Freunde und Verwandte in triumphierender Gestik den Gewinn einer olympischen Goldmedaille feierten oder beim Nichtgewinn dieser Goldscheibe ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnten.

Ich habe in meiner Kindheit viele Stunden lang auf Friedhöfen herumgestanden. Als Ministrant wird es zur zeit-erlösenden Möglichkeit, die Angehörigen in vorderster Reihe in ihrer Trauer zu betrachten. Selbst habe ich mit den wohl trostspendenden Liedern so manche Träne vergossen. Aber die Männer, vor allem die ganz alten Männer um meinen Opa, habe ich in meinem Dorf nie weinen sehen.

“Wein nicht herum” oder “Ein Indianer kennt keinen Schmerz”, “Sei ein Mann!” waren sowieso die pädagogischen Hilfsmittel erster Wahl für XY-Chromosomträger. Obwohl, es gibt Felder der Anschauung eines Kollektivs tränenverströmender Männer: Zum Beispiel das letzte Spiel einer Fußballmannschaft im erfolglos gefochtenen Abstiegskampf…

Natürlich habe ich mittlerweile auch Männer weinen sehen, aber es sind nicht viele gewesen. Ich habe es sicherlich gelernt, heimlich zu weinen und offensichtlichen Tränen zu vermeiden. Wenn meine Buben weinen, öffnen sie ihre Seelen. Sie zeigen sich verletzt und verletzlich. Sie protestieren gegen die Welt, gegen den Schmerz und gegen die Ungerechtigkeiten, die in diesen Augenblicken ihr Dasein durchschütteln. Sie weinen und mit den Tränen und dem Trost wird wieder alles gut.

Ich werde mich zukünftig mit dem Weinen vor meinen Kindern nicht zurückhalten. Das werden sie mir lehren. Immerhin haben Männer ja zwei Tränendrüsen. Mein Sohn findet es ja sowieso peinlich, dass mir das Weinen peinlich sein könnte.

Wolfgang Nell (45), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.