Erinnerungen einer Mutter

Ich erinnere mich immer gerne daran, wie meine Tochter im Kindergarten mit gut fünf Jahren vom „normalen“ Kindergartenkind zum „Schulanfänger-Kind“ wurde. Sie war sehr stolz darauf und auch die Kindergartentanten legten Wert auf die neue Gruppenbezeichnung.

Schulkind sitzt am Schreibtisch

Bild: Rainer.Sturm/pixelio.de

Für uns Eltern erschloss sich nicht sofort, wo der Unterschied liegt. Meine Tochter antwortete darauf eines Tages, dass der Hauptunterschied darin liege, dass sie jetzt im Stehen schaukeln dürfe. Wir zollten ihr Respekt, denn das ist ein ganz schönes Stück „Verantwortung“, so im Stehen zu schaukeln, ohne hinunterzufallen.

Als die Einschulung anstand, stellten wir uns natürlich die Fragen, die sich alle Eltern zu diesem Zeitpunkt stellen: Wird mein Kind den Anforderungen gerecht? Werden wir Glück mit der Lehrerin haben, die immerhin die nächsten vier Jahre quasi zur Familie gehört? Wird unsere Tochter es schaffen, morgens früh aufzustehen, alleine mit dem Bus zu fahren, ihre Aufgaben zu machen, ihr Turnsackerl nicht zu vergessen…?

Als Kindergartenkind war unsere Tochter immer sehr verspielt und hat jeden Freiraum genossen, in dem ihr keine Aufgaben gestellt wurden. Bereits im Kindergarten hat sie lieber draußen gespielt, statt Schreibübungen zu machen. Deshalb hat sie wahrscheinlich schnell durchschaut, dass mit der Volksschule diese Freiräume nicht größer werden. Ihre Vorfreude auf die Schule hielt sich in Grenzen.

Als es dann soweit war, waren die vielfältigen Eindrücke sehr stark. Die neue Umgebung, das lange Sitzen, die neuen Bezugspersonen und vor allem natürlich die neuen Mitschüler – das ist für ein sechsjähriges Kind eine Menge zum Verarbeiten. Aber dieser Entwicklungsschritt ist ja nicht nur mit Problemen behaftet. Das Kind selbst merkt durch die gesteigerten Anforderungen auch einen Schub an Selbstständigkeit. Es wird in seiner Rolle als Schulkind anders wahrgenommen, es hebt sich ab von den Kleinkindern und ist ein Stück reifer geworden. Das erfüllt die Kinder mit Stolz.

Unsere Befürchtungen, die Anforderungen durch die Schule könnten zu groß sein, bewahrheiteten sich nicht. Die LehrerInnen wissen durch ihre Ausbildung und Erfahrung, in welchem Alter welche Lernziele, aber auch welches Maß an sozialer Kompetenz von den Kindern zu schaffen sind. Die Tage bekamen eine andere Struktur, Hausaufgaben waren zu erledigen, die Urlaubsplanung richtete sich jetzt nach den Schulferien und viele Termine auch für uns Eltern standen ins Haus.

Schulanfang an der Tafel

Bild: knipseline/pixelio.de

Durch die Fähigkeiten, die unsere Tochter in der Schule erwarb, eröffnete sich ihr auch eine neue Welt: Lesen, Schreiben und Rechnen erlebte sie als Kompetenzen, sich im Leben besser zurecht zu finden. Die Welt der Bücher ist ihr auch heute noch sehr ans Herz gewachsen.

Hilfreich für Eltern ist sicher, wenn man sich in die Perspektive des Kindes versetzt. Wie geht das Kind mit den Herausforderungen um? Wo ist es stark und wo schwach? Wir erlebten bei unserer Tochter das Thema „Orientierung an den Großen“ als prägend. So wie im Kindergarten der Aufstieg zur „Schulanfängerin“ zu bewältigen war, gehörte man natürlich in der Volksschule als Erstklässlerin zu den ganz „Unterprivilegierten“. Die Viertklässler waren auf jeden Fall immer die Coolen. Hier wurden Rollenmuster getestet und kopiert, hier wurde ein Blick in die eigene Zukunft geworfen.

Sich an den „Großen“ zu orientieren wird dann mit zunehmendem Alter immer relevanter. Heute ist unsere Tochter zwölf und mitten in der Pubertät. Sie kommt gut mit ihrer Welt klar und probiert schön langsam, wie es ist, erwachsen zu sein.