Männer im herkömmlichen Sinne gelten als „privilegiertes Auslaufmodell“, als übergriffig, gefühllos – und sind als Väter meist ein schlechtes Vorbild für ihre Kinder. Im Buch „Männerschmerz“ beschreibt Richard Schneebauer männliche Abwehrstrategien wie Schweigen und Aushalten. Er will Männern keineswegs die Opferrolle aufdrängen, sondern ermutigen, für ihre Bedürfnisse einzustehen. Maria Zamut führte ein Gespräch mit „Männer-Kenner“, Männerberater und Soziologen Richard Schneebauer.

Worum geht es in deinem Buch?
Es geht darum, den Schmerz, den Männer ausüben und den, den sie erleiden, nebeneinanderzustellen, weil beides einfach Faktum ist. Ich sehe das Buch als meinen Beitrag zu mehr Frieden zwischen den Geschlechtern.

Warum sollte ER dein Buch lesen?
Weil man so vielleicht anfängt, sich selbst in dem einen oder anderen zu sehen und sich so besser zu verstehen. Das wiederum verbessert in der Regel die Beziehungen zu Frauen. Im Kapitel „Krieg“, das vor dem Einmarsch Putins entstand, schreibe ich über meinen Opa und seine Kriegserlebnisse. Krieg ist eines jener Ereignisse, bei denen Männer am meisten Schmerz ausüben und auch zu erleiden haben.

Warum sollte SIE dein Buch lesen?
Es schadet nicht, die andere Seite kennen zu lernen, deshalb sollten Männer ein paar Frauenbücher lesen und umgekehrt. Allein, wenn man die Abwehrstrategien der Männer besser versteht, die er so gelernt hat, wie Schweigen und Aushalten, bedeutet dies einen Beitrag zu mehr Frieden zwischen Männern und Frauen. Es geht hier nicht darum, Männer in die Opferrolle zu drängen und Mitleid von den Frauen zu bekommen. Das Ziel ist vielmehr, dass Männer lernen, ein klares Stopp zu sagen und artikulieren, was sie brauchen. Es geht hier nicht um Mitleid heischen, sondern um tiefes Verständnis.

Woher kommt der Schmerz der Männer?
Der Schmerz beginnt oft in Beziehungen und kann auch nur in Kontakt mit anderen Menschen wieder geheilt werden. Die Pein entsteht oft durch unser Aufwachsen in der aufgedrängten Rolle als Mann und dadurch, wie wir Männer uns oft gegenseitig weh tun – körperlich und seelisch. Gesamtgesellschaftlich fällt der Mann oft durch viel weniger Empathie auf, weil man weiß: Man muss es halt aushalten oder runterschlucken, stark sein. Männer erleiden wie auch Frauen Schmerz, viele Männer haben aber das Gefühl, dass sie weder gesamtgesellschaftlich noch individuell daran leiden dürfen.

Welches Mittel gegen den Männerschmerz empfiehlst du?
Darüber reden. Da fällt mir ein Satz eines Workshop-Teilnehmers ein: „Wenn wir überhaupt über Gefühle reden, dann halt mit der Lehrerin oder der Mama, aber kaum mit Männern.“ Das Heilmittel sind – das darf ich auch gerade wieder mit der Männergruppe erleben, die ich leite – Gespräche auf Augenhöhe unter Männern. Hier sprachen neulich Männer vom Aufwachsen mit einem gewalttätigen Stiefvater. Allein das Miteinanderreden mit einem einfühlsamen Gegenüber hilft schon viel und die Erkenntnis, dass es anderen auch so gegangen ist.

Was ist falsch daran, wenn Männer zu Frauen gehen, um zu reden?
Gar nichts. Und es ist auch schon viel besser als früher. Da sagten auch noch viele Frauen: „Du als Bursche darfst nicht weinen!“ Buben sollen zu Männern werden und da sind natürlich Männer als Vorbilder wichtig. Frauen durften früher und auch heute weinen. Bei Männern ist das auch heute noch nicht selbstverständlich, dass Tränen akzeptiert werden. Selbst viele Lehrer haben hier noch ein Thema und gestehen ihren Schülern Gefühle oder gar Tränen kaum zu. Bei vielen jungen Vätern tut sich da aber schon einiges, es geht durchaus in die richtige Richtung, finde ich. Bei Jugendlichen dagegen ist es innerhalb der peer group noch immer schwierig, Gefühle zu zeigen, da hat sich noch nicht so viel verändert. Außer es passt der Rahmen. Unsere Workshops an Schulen etwa fördern oft in Aufstellungen die Gefühle von gemobbten MitschülerInnen zutage, es kullern Tränen und es entsteht Empathie bei denen, die ausschließen.

Wie ist der Mann, der sein Mann-Sein authentisch auslebt?
Das Idealbild eines selbstbewussten Mannes ist nicht völlig schmerzbefreit. Es braucht Regen und Sonnenschein, dann wächst eine Pflanze am besten. Auf Männer umgelegt heißt das: Es gibt Tage, da fühle ich mich stark und sicher, an anderen Tagen bin ich frustriert oder es tut mir etwas weh. Es geht darum, sich diese „Regentage“ selbst einzugestehen und idealerweise an diesen Tagen auf andere Männer zurückgreifen zu können, mit denen man reden kann, wenn man es braucht.
Ich zeige das gerne in Form eines Bildes: Der aufgeplusterte Macho-Mann, das Bild vom „gestandenen Mann“ ist im Kern oft instabil und wackelig, weil es nur einer Wunschvorstellung entspricht. Und dann gibt es das Bild vom zusammengekauerten Mann, der unter der Last von unausgesprochenen Sorgen und Problemen zusammenzubrechen droht. Auch dieses Bild ist instabil.
Wenn ich beide Bilder authentisch leben kann, ohne mich als Mann in Frage zu stellen, im Sinne von „I am what I am“, dann bin ich authentisch als Mann. Es geht darum, mit beiden Beinen im Leben zu stehen und Gefühle in allen Nuancen auszuleben. Denn wenn ich mir zugestehen kann, traurig zu sein, kann ich auch wieder lachen. Nur wenn ich um meine Stärken weiß und um meine Schwächen, um meine Schmerzfelder und meine erfreulichen Seiten, kann ich „ich selbst“ sein.

Viele Männer fühlen sich in ihrer Männlichkeit bedroht durch starke, selbstbewusste Frauen, die auf ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft pochen. Das zuzugeben ist für manche Männer ohne Gesichtsverlust schier unmöglich. Was ist der Weg aus diesem Dilemma?
Offener Austausch unter Männern, der nicht stammtischmäßig ist. Frauen, die selbstbewusst ihren Weg gehen, verunsichern ihre Partner mitunter. Vor allem auch dann, wenn den Männern selbst das Freundes-Netzwerk eher fehlt. Wenn Mann jedoch Männer hat, mit denen er sich auf Augenhöhe austauschen kann, wird er an Sicherheit gewinnen – schon allein deshalb, weil er vielleicht sogar hören wird, dass andere auch zunächst ähnlich irritiert waren angesichts von Frauen, die sagen, was sie wollen. Mann merkt, dass er mit dem Problem der Unsicherheit keineswegs allein dasteht und bekommt so wieder zu mehr Sicherheit – auch in der Beziehung zu selbstbewussten Frauen.
Deshalb rufe ich leidenschaftlich auf zum offenen und wertschätzenden Austausch unter Männern. Frauen holen sich schon seit Jahrtausenden Kraft über den Austausch untereinander, den brauchen Männer auch. Es geht nicht darum, Männer als Opfer darzustellen, sondern Männer müssen sich mit ihrer Verantwortung beschäftigen.

Richard Schneebauer im Wordrap:
Patriarchat: schadet auch Männern
Männerschnupfen: Klischee
MeToo: wichtige Bewegung
Macho-Gehabe: nicht mehr zeitgemäß
Geschlechterkampf: nach wie vor hoch aktuell

Zur Person:
Richard Schneebauer (geb. 1972) ist Soziologe, Vortragender, Trainer und Autor und seit mehr als 20 Jahren in Oberösterreich in der Männerberatung tätig. Neben dem Buch „Männerschmerz“ hat „der Männerkenner“ die Bücher „Männerherz“ und „Männerabend“ geschrieben. https://dermaennerkenner.com

Buch: Richard Schneebauer: Männerschmerz. Was Männer verletzt. Goldegg Verlag. 2022.