Gerald Koller (Foto: www.stephanrauch.com)

Gerald Koller (Foto: www.stephanrauch.com)

Eltern leben oft in der Zwickmühle. Sie sollen den Kindern Wurzeln geben, ihnen aber auch Flügel zugestehen, um auszuziehen. Tief drinnen wird dann aber doch der Wunsch laut, die Kinder einfach nur bewahren zu wollen – vor den Schwierigkeiten in der Welt und vor schlechten Erlebnissen. Pädagoge Gerald Koller spricht sich hingegen für eine Bewährungspädagogik aus: Kinder in die Selbständigkeit zu begleiten und lebensfähig zu machen – das ist die Devise.

„Hilf mir, es selbst zu tun“, sagte schon Maria Montessori. Ganz nach dieser Idee plädiert Gerald Koller dafür, Kinder dabei zu begleiten, sich zu bewähren, statt sie vor möglichen Risiken zu bewahren. Ganz klar unterscheidet der Pädagoge zwischen Gefahren und Risiken. „Eine Gefahr ist eine Bedrohung der Existenz“, erklärt er. „Während ein Risiko, laut Duden, einfach ein bedeutsames Ereignis mit unsicherem Ausgang ist. Risiko braucht Achtsamkeit. Gefahr braucht Vermeidung.“

Allzu oft würden Eltern Risiken scheuen, aus Angst, dass etwas passieren könnte. Diese elterliche Unsicherheit überträgt sich jedoch auf das Kind. Will ein Kind auf einen Baum klettern, die Eltern signalisieren jedoch Angst vor einem Unfall, so vermittelt dies dem Kind primär eines: Das, was ich mir selbst zutraue, trauen mir andere nicht zu. „Die Bewahrungspädagogik bewahrt uns vorwiegend vor Selbstvertrauen“, ist Koller überzeugt. Für ein gelingendes Leben brauchen wir jedoch Erlebnisse, Entdeckungen und die Möglichkeit, Sinn zu stiften. Für uns Eltern und Begleitende bedeute dies, mit unserer Angst umgehen zu lernen.

Denn mit Unsicherheiten sind Kinder und Jugendliche heutzutage zuhauf konfrontiert. Ihre Zukunftserwartungen haben sich massiv verschlechtert und stets prasseln Doppelbotschaften auf sie herein: auf der einen Seite der Appell, aufzupassen und es nicht zu übertreiben, auf der anderen Seite was von Sozialen Medien vermittelt wird, dass nur das Außergewöhnliche lebenswert sei. „Kinder und Jugendliche werden mit dem Brückenbau zwischen diesen beiden Botschaften alleine gelassen“, so Koller. „Jedes Produkt wird über das Außergewöhnliche, Rauschhafte inszeniert, während der Alltag als nicht lebenswert dargestellt wird – im Radio kommt der Countdown zum Wochenende und die Stunden bis zum Arbeitsschluss werden heruntergezählt.“ Dies vermittle den Jugendlichen, dass der Alltag – der die Mehrheit des Lebens ausmacht – entbehrlich sei.

In diesem Umfeld brauchen Kinder Halt und Verständnis – und gute Wegbegleiter, die Kindern und Jugendlichen helfen, sich ein gelingendes Leben aufzubauen. Menschen, die ihnen ein Umfeld bieten, in dem sie Risiken abschätzen lernen und sich im Alltag bewähren können. „Diese Wegbegleiter zeigen vielfältige Lösungsmöglichkeiten, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. In der Schockstarre des Bewahrens sehen wir jedoch nur einen Weg – spielt man auf einem Klavier nur eine Taste, wird das Leben langweilig. Je mehr Tasten ich habe, desto mehr Lieder kann ich spielen, und desto besser kann ich mit dem Leben umgehen.“