Neurowissenschafterin Manuela Macedonia, Professorin an der Universität Linz, im Interview über ihr neues Buch „Beweg dich! Und dein Gehirn sagt danke“.

Kann man sagen, Bewegung macht Alte jung und Junge klug?
Ja, das kann man wirklich so formulieren!

Wenn Bewegung klug macht und unsere heutige Jugend immer mehr vor Computer & Co sitzt, sowie auch immer übergewichtiger wird, fragt man sich unweigerlich, ob unsere Gesellschaft schleichend verdummt?
Das ist nicht meine These und ich sehe nicht alles schwarz oder weiß. Die Medien haben auch positive Seiten. Es ist aber eine Tatsache, dass Bewegung die kognitiven Fähigkeiten unserer Kinder unterstützt. Keine oder zu wenig Bewegung wirken sich negativ aus und das nachweislich. Alle Untersuchungen betreffen Durchschnittsmenschen: Also gibt es natürlich auch immer Menschen, die sich nicht bewegen und intellektuell höchste Leistungen erreichen und solche, die genug Bewegung haben und dennoch kognitiv unterdurchschnittlich sind. Das sind statistische Ausreißer, also Menschen, die aus welchen Gründen auch immer anders „funktionieren“.

Warum brauchen gerade Jugendliche Sport und wie kann man sie am besten davon überzeugen?
Jugendliche brauchen für die Schulzeit ein gutes Kurzzeitgedächtnis und somit einen gut funktionierenden Hippocampus. Man kann ihn nur durch Bewegung fit halten, sitzen und Medienkonsum tragen nicht dazu bei. Darüber hinaus ist Bewegung notwendig, um den Haushalt von Nervenwachstumsfaktor zu regulieren. Haben wir ausreichend, ist unser Gehirn „genährt“ und funktioniert gut. Zu wenig von dieser Substanz führt auch zu Depression oder Essstörungen wie Bulimie und Anorexie. Ich denke, dass die beste Motivation die Aufklärung wäre: Den Jugendlichen bewusst machen, was zu wenig Bewegung mit sich bringt.

Ist Laufen das einzig Wahre oder sollte man seinen persönlichen Lieblingssport herausfinden, um auch dran zu bleiben?
Die meisten Studien haben grundsätzlich drei Sportarten untersucht: eigene Fortbewegung – also Gehen, Walken, Laufen – Radfahren und Schwimmen. Sie haben eine positive Wirkung auf unsere kognitiven Fähigkeiten. Krafttraining und andere Sportarten sind sicher auch gut, weil sie Muskelmasse aufbauen, aber sie lösen nicht jene Prozesse aus oder regen sie nicht im gleichen Ausmaß an, damit sie die Wirkung haben, die ich im Buch beschreibe.

Provokant gefragt: Sind Menschen, die keinen Sport machen, dümmer als andere bzw. schöpfen sie ihre Potentiale nicht aus?
Das kann ich nicht sagen. Ich würde auch niemanden stigmatisieren, der keine Bewegung machen kann oder will. Die Auswirkungen von zu wenig Bewegung kriegt man irgendwann im Leben präsentiert, spätestens, wenn man älter ist. Menschen, die sich nicht bewegen, sind mehr demenzgefährdet. Es heißt aber nicht, dass sie Demenz bekommen. Lediglich die Wahrscheinlichkeit ist höher. Ich will auf Nummer sicher gehen und beuge vor. Alt möchte ich schon werden, aber alt und fit im Kopf und nicht alt und dement.

Was passiert im Gehirn, wenn ich mich nie bewege bzw. erst spät damit anfange? Kann ich das noch aufholen?
Es ist nie zu spät, um zu beginnen. Selbst Alzheimer-Patienten profitieren nachweislich vom Spazieren gehen.

Wie sollte ein Schultag neurowissenschaftlich ideal in Bezug auf Bewegung ausschauen?
Man sollte jeden Tag in der Schule mindestens eine Stunde Bewegung im Unterrichtsplan einbauen. Idealerweise in der Früh mit einem Lauf oder einer Radeinheit: Nach dem Schwitzen duschen und dann lernen …

Wieviel Bewegung für welches Alter (vom Kleinkind zum Pensionisten) ist notwendig, damit es für das Gehirn etwas bewegt – gibt es da Richtlinien?
Nein, Richtlinien gibt es keine, weil jeder Mensch ein bisschen anders ist. Aber man macht sicher keinen Fehler, wenn man sich mindestens eine Stunde am Tag bewegt, indem man guten Schrittes spazieren geht oder läuft oder eine Stunde Rad fährt … Am Wochenende kann man diese Aktivitäten intensivieren und in der freien Natur vermehrt Bewegung machen.

Wie lange wirkt Bewegung im Gehirn nach? Muss ich jeden Tag Sport machen?
Bewegung ist kein Schnellrezept: Damit sie wirkt, muss sie mit Regelmäßigkeit praktiziert werden: Ohne zu schnaufen, aber jeden Tag. Bewegung ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, das System Gehirn fit zu halten und das völlig ohne Nebenwirkungen.

Sie haben gerade eine 1000 km Radtour hinter sich – warum tun Sie sich das an? Bringt „mehr“ in diesem Fall auch mehr fürs Gehirn?
Ich liebe lange Radreisen. Es ist einfach schön, langsamer Länder zu bereisen als man das mit anderen Transportmitteln normalerweise tut. Man sieht sie auch besser, man erlebt mehr und man fühlt sich am Abend so wohl, wenn man müde, satt und zufrieden ins Bett fällt. Meine „Heimreise“ ins Aostatal war 1.143 km lang und ich habe ca. 12.000 Höhenmeter überwunden. Als ich ankam, hatte ich weder Schmerzen, noch war ich müde … Es war ein schönes Radeln. Hätte ich Zeit gehabt, wäre ich über die Schweiz zurück gefahren.

Wie kann man sich am besten zum Sport motivieren?
Meine Motivation ist die Angst, dement zu werden. Ich vergegenwärtige mir immer wieder die Patienten der Gedächtnisambulanz in Leipzig, aber auch die Phase, als ich damals selbst Probleme mit meinem Gedächtnis hatte. Es reicht mir, dafür, dass ich auch bei schlechtem Wetter hinausgehe und laufe oder Rad fahre.

Daniela Christl