Gabi Mitterlehner führt in Linz das Öko-Kleidungsgeschäft "Greenfeel". Bei der Flüchtlingsthematik wollte sie nicht länger tatenlos herumsitzen und organisierte mehrere Spendenfahrten nach Traiskirchen.

Gabi Mitterlehner führt in Linz das Öko-Kleidungsgeschäft "Greenfeel". Bei der Flüchtlingsthematik wollte sie nicht länger tatenlos herumsitzen und organisierte mehrere Spendenfahrten nach Traiskirchen.

Wochenlang sah sich Gabi Mittlerlehner die Bilder aus Traiskirchen an, die von inhumanen Zuständen ohne Aussicht auf Verbesserung sprachen. Schließlich nahm die Linzerin es selbst in die Hand und organisierte innerhalb von drei Tagen eine Spendenfahrt. Im Interview erzählt die Besitzerin des Öko-Kleidungsgeschäfts “Greenfeel” von ihren Erlebnissen.

Warum bist du auf die Idee gekommen, für Traiskirchen zu sammeln und hin zu fahren?

Gabi Mitterlehner: „Meine Tochter und ich sind in der Woche davor in unserem Laden gesessen. Wir haben seit Tagen und Wochen mitbekommen, was dort los ist, und da denkt man sich: Wann tun sie endlich etwas? Wie lange geht das noch so weiter? Der mediale Druck war und ist so hoch, da waren wir davon überzeugt, dass einmal etwas geschehen muss – und es ist nichts passiert. Also haben meine Tochter und ich an diesem Mittwoch gesagt: Am Samstag fahren wir!“

Was kam in den drei Tagen, die ihr hattet, zusammen?

GM: „Es war total beeindruckend, wie die Leute darauf reagiert haben. Ich habe die Aktion nur über Facebook beworben – und innerhalb von drei Tagen waren 600 Euro beisammen. Ein Mann ist ins Geschäft gekommen, hat mir 150 Euro in die Hand gedrückt und meinte: ‘Kauft, was gebraucht wird.’ Ich habe ihn vorher noch nie gesehen. Das hat mich überwältigt.“

Wie ging es euch vor Ort in Traiskirchen?

GM: „Wir sind am 15. August mit drei vollen Autos nach Traiskirchen gefahren. Dort sind wir direkt beim Lager stehen geblieben. Einige Flüchtlinge sind dann gleich hergekommen. Wir haben sie gefragt, wie es ihnen geht, was sie brauchen und haben die Sachen verteilt. Anfangs waren sie recht schüchtern.  Man hört von manchen, dass die Autos gestürmt werden. So haben wir das nicht erlebt. Natürlich ist etwas Gedränge da, wenn ein paar Leute herkommen und gleichzeitig schauen, aber es geht alles gesittet ab. Man hat nicht das Gefühl, sie reißen einem das Auto auseinander.“

Wie war die Stimmung in Traiskirchen?

GM: „Es ist total nett und höflichen abgelaufen. Für das, was die Leute erlebt haben, ist die Stimmung an sich recht gut. Die Leute sind total dankbar und froh, dass jemand mit ihnen Anteil nimmt und mit ihnen das Leid lindern möchte. Ich habe mir oft gedacht, auch im Nachhinein: Das sind so starke Leute. Ich weiß nicht, ob ich so stark wäre.

Gerade wenn man sieht, wie die Zustände dort sind – man kennt sie Bilder ja aus dem Fernsehen. Überall standen Zelte, es waren behelfsmäßig Planen gespannt und zwischen den Bäumen, wo Wäsche gewaschen wird, hängen Schnüre. Für mich ist das unvorstellbar, wochenlang so zu leben, ohne sich richtig waschen zu können oder sich umzuziehen. Je mehr Infos du zu den Themen bekommst, desto mehr denkst du dir – das ist ein Wahnsinn. Und das in einem der reichsten Länder der Welt wird so umgegangen mit Menschen, die das Schlimmste erlebt haben.“

Wie lief die Kommunikation ab?

GM: „Manche können Englisch, manche etwas Deutsch. Ich hatte den Eindruck, dass der Großteil gebildet ist. Da sind Lehrer genauso wie Anwälte, Firmenchefs, etc., und so organisieren sie sich auch selbständig. Es dürfen nicht alle das Lager verlassen. Jene, die hinaus dürfen, haben die Spendengüter dann auch durch den Zaun an die Menchen gegeben, die nicht hinaus dürfen. Man hat gemerkt, dass die Leute das untereinander weitergeben, wenn sie wissen, da ist jemand, der das brauchen könnte.“

Was haben die Flüchtlinge benötigt?

GM: „Bei der ersten Fahrt haben wir noch nicht genau gewusst, was sie brauchen. Da haben wir alles mitgenommen – Gewand, Spielsachen, ein Kinderwagen, etc. Leider hatten wir viel zu wenige Schuhe mit. Wir hatten eine Schachtel mit Schuhen mit, die war innerhalb von fünf Minuten weg. Beim ersten Mal hatten wir auch fast keine Taschen. Sie brauchen aber v.a. Rucksäcke, Reisetaschen, Koffer, etc., weil sie nicht wissen, wann sie überstellt werden. Oft haben sie nur ein Plastiksackerl und das Gewand, das sie anhaben.“

Was war euer Fazit aus dem Tag?

GM: „Wir waren einen halben Tag in Traiskirchen und es war schnell klar, dass wir ein zweites Mal fahren würden. Für mich war besonders beeindruckend zu sehen, wie die Leute trotz der Strapazen der Flucht immer noch so viel Kraft haben und so stark sind. Dass sie immer noch ein Lachen zusammenbringen und immer noch so herzlich sind, trotz der Trauma, die sie erlebt haben.”

Welche Tipps habt ihr für Leute, die ebenfalls Sachspenden nach Traiskirchen bringen wollen?

GM: „Direkt vor den Eingang würde ich mich nicht hinstellen, da kann es sehr dicht werden. Es wird auch überall gesagt, man soll in eine Seitengasse fahren, wo es ruhiger ist. Wenn man mit mehreren Autos unterwegs ist, ist es ratsam, gemeinsam Auto für Auto auszuräumen. Manche breiten Decken aus und legen ihre Spenden darauf. Dann können die Flüchtlinge wie in einem Geschäft schauen, was sie brauchen können. Da geht es dann ruhiger ab.

Ich finde es auch total wichtig, mit den Leuten zu reden; sie izu fragen, wie es ihnen geht, wo es am meisten brennt. Ganz wichtig ist, sich Zeit für sie zu nehmen.

Wenn zu viele Leute kommen, kann man ein Time-Out machen, das Auto schließen und etwas weiter fahren – bei uns war das aber nie notwendig. Wir sind immer dort stehen geblieben, wo kein Wirbel war.“

Was hat dich besonders berührt?

GM: „Es waren viele kleine Momente. Wir haben total schöne Erfahrungen gemacht – z.B. sind einige kleine Kinder gekommen, als wir das Auto aufgemacht haben, und haben das Obst darin mit großen Augen angesehen. Wenn du ihnen dann das Obst in die Hand drückst, freuen sie sich total darüber.  Da weiß man ja gar nicht, wie lange die Kinder kein Obst mehr in der Hand hatten.

Generell war die Solidarität der Menschen sehr bewegend. Wir haben Lebensmittel in einem türkischen Laden besorgt, da hat man gespürt, dass dort die Solidarität noch selbstverständlich ist – dass die Leute noch wissen, wie es ist, wenn es einem schlecht geht.

Dazu tragen alle bei, die hinfahren und etwas tun. Einige spielen mit den Kindern. Ein Mann hat eine Melone aufgeschnitten. Das sind so viele kleine Puzzle-Teile, die in Summe etwas total Positives haben. Jeder trägt seinen Teil bei nach eigenem Ermessen, und in Summe macht es die Welt dann doch ein wenig besser.“ 

Warum wolltest du nach Traiskirchen fahren und nicht in die oberösterreichischen Flüchtlingslager?

GM: „Weil mir vorgekommen ist, dass in Traiskirchen der Wahnsinn am größten ist, dass die Leute dort am schlechtesten versorgt sind. Es gab Gerüchte, dass die Flüchtlinge nur zwei Mahlzeiten am Tag bekommen, sie haben keine getrennten Duschen haben, etc. Angeblich gibt es dort 1900 Betten. Es waren zu Spitzenzeiten 5000 Menschen da – man kann sich vorstellen, wo sie geschlafen haben; am Gang, draußen, am Boden. Wer ein Bett hat, muss sich jeden Tag registrieren. Ein Mitarbeiter ist mit einer Liste durchgegangen und hat die Leute abgehakt, und wenn du nicht auf deinem Bett gesessen bist, warst du weg. Weil sie dort komplett unterbesetzt sind, dauert das entsprechend lang – in der Zeit kann man sich natürlich auch nicht für Essen anstellen. Die Menschen dort haben keine Anlaufstellen, keine Informationen. Das ist ein Wahnsinn, ein totales Versagen. Mich hat das total erschüttert. Gegen die Flüchtlingswellen im 20. Jahrhundert ist das, was aktuell in Österreich passiert, gar nichts. Wir haben noch nicht einmal 100.000 Flüchtlinge.“

Hast du auch negative Rückmeldungen bekommen?

GM: „Es gab nur ein Posting auf Facebook von einer Frau. Darauf sind wir gar nicht eingegangen. Wir dachten uns, ok, das ist ihre Meinung, sie hat eben andere Erfahrungen gemacht. Es gibt so viele gute Erfahrungen, da darf man darf sich von einer Unkenstimme nicht beeindrucken lassen.

Die meisten waren einfach froh, weil sie selbst nicht die Möglichkeit haben zu fahren, haben aber trotzdem den Drang, etwas zu tun – haben kein Auto, oder haben Kinder zuhause, mit denen sie nicht hinfahren möchten.“

Wie geht es für dich weiter?

GM: „Wir sind jetzt zwei Mal gefahren. Bei der zweiten Sammelaktion ist so viel zusammen gekommen, dass wir gar nicht wussten, ob wir alles unterbringen würden – obwohl wir in dem Fall mit drei PKWs und einem großen Auto gefahren sind. Wenn es passt, fahren wir in 14 Tagen wieder. Es kommen ja jeden Tag neue Flüchtlinge, und in Österreich kann es  sein, dass es im September schnell kalte Tage hat. Das wissen die Leute nicht und decken sich deshalb vielleicht nicht zeitgerecht mit einer warmen Jacke oder ordentlichen Schuhen ein.“

Was wünscht du dir von der Politik?

GM: „Ich hoffe, dass die Situation schnell behoben wird und die Politiker Verantwortung übernehmen und schauen, dass sie alles in Griff bekommen. Und auch, dass sie mit den Gemeinden reden und diese dabei unterstützen, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ginge nur um die Rahmenbedingungen. Es fänden sich bestimmt überall genug Freiwillige, die unterstützend mit den Kindern spielen würden, Deutschunterricht geben, mit ihnen kochen. Es ginge nur darum die Basis mit Hilfe des Staates zu schaffen. Es gibt genug Menschen, die Zeit haben und total gerne etwas tun würden.
Ich glaube, es geht primär darum, den Leuten die Angst zu nehmen. Viele haben ein falsches Bild davon, was für Menschen da in Traiskirchen sind. Das sind ganz normale Menschen, die durch den Krieg aus ihrem regulären Leben gerissen wurden. Alle Gemeinden, die bisher Flüchtlinge aufgenommen haben, sind positiv überrascht von der guten Energie und den neuen Input, die das in der Gemeinde bringt. Genug Gemeinden machen es glücklicherweise schon positiv vor.“

Manuela Hoflehner