Regelmäßige und intensive Erfahrungen in und mit der Natur sind essentiell für eine vollwertige Entwicklung eines Kindes, sagt der amerikanische Journalist und Umweltaktivist Richard Louv. Er hat erstmals das Phänomen “Nature-Deficit-Disorder” beschrieben und plädiert dafür, den Kinder die Natur wieder zurückzugeben.

Der amerikanische Journalist Richard Louv ist einer der bekanntesten Umweltaktivisten und löste mit seinen Büchern weltweit eine breite ökologische Bewegung aus. In seinem Buch „Das letzte Kind im Wald? Geben wir unseren Kindern die Natur zurück“ formulierte er erstmals den Begriff „Naturdefizit-Störung“, auch „Nature-Deficit-Disorder“ genannt.

Er meinte damit, wie dramatisch sich die Beziehung von Kindern und Jugendlichen zur lebendigen, natürlichen Lebenswelt in den letzten zwei Jahrzehnten verschlechtert hat. Louv geht es um den Erhalt von Lebendigkeit, Gesundheit und Kreativität von Kindern. Der Amerikaner versteht unter Natur alles, was lebt und eine Begegnung von Kindern mit natürlichen, nicht von Menschen gemachten Phänomenen ermöglicht.

Im Vorwort erläutert der renommierte Hirnforscher Gerald Hüther, dass für Louv nicht die Aneignung von Wissen über die Natur zentral ist, sondern die eigene, am eigenen Leib gemachte Erfahrung in und mit der Natur. Hüther: „Nur aus solchen Erfahrungen können im kindlichen Gehirn all jene inneren Einstellungen und Haltungen herausgeformt werden, die die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken, die Entfaltung der in ihnen angelegten Potenziale, ihre Entdeckerfreude und Gestaltungslust wieder anregen und verloren gegangene Sinnbezüge wieder herstellen.“

Im Grunde sagt er damit nichts anderes als Louv, nämlich, dass „Kinder ebenso wie gute Ernährung und ausreichend Schlaf Kontakt mit der Natur brauchen“. Naturkontakt ist also in jeder Hinsicht essentiell für eine vollwertige Entwicklung ist. Doch genau dem wirke unsere Gesellschaft momentan entgegen! Louv: „Unsere Gesellschaft bringt den jungen Menschen bei, unmittelbare Naturerfahrungen zu meiden. Wohlmeinende Schulsysteme, Medien und Eltern jagen unseren Kindern buchstäblich Angst vor Wald und Flur ein, und er warnt, „Wenn Kinder und Jugendliche immer weniger Zeit in der freien Natur zubringen, verengt sich ihr sinnlicher Wahrnehmungshorizont, körperlich und seelisch, und das mindert den Reichtum der menschlichen Erfahrung.“

Louv hilft zuweilen durch einen „kräftigen Schuss vor den Bug“, wie Hüther es ausdrückt, um uns die Veränderungen, die sich in unseren Kindern von Generation zu Generation langsam und schleichend vollziehen, wieder wahrnehmen zu lassen. So zeigt Louv auf, dass es noch nicht lange her sei, als Ferienlager noch Orte waren, wo man in Zelten wohnte, in den Wäldern wanderte, etwas über Pflanzen und Tiere lernte und am Lagerfeuer beisammensaß, um sich Geschichten über Geister und wilde Tiere zu erzählen. „Heutzutage“, so Louv, „geht man ins Ferienlager, um abzunehmen oder etwas über Computer zu lernen.“ Für die jüngere Generation sei Natur etwas Abstraktes, etwas, das man im Fernsehen sieht, konsumiert, und nicht mehr mit allen Sinnen wahrnimmt.

Und man muss unwillkürlich schlucken, wenn er über eine Episode seines zehnjährigen Sohnes erzählt, der ihn fragt: „Dad, wieso gab es viel mehr Spaß, als du ein Kind warst?“ Louv: „Wie meinst du das?“ Sein Sohn blickte ihn ernsthaft an und sagte: „Na, du erzählst doch immer von deinem Wald und den Baumhäusern und wie du auf dem Pferd am Moor entlang geritten bist…“ Louv: „Mein Sohn hatte das Gefühl, dass ihm etwas Wichtiges entgangen war – und er hatte recht.“

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Buchtipp: Louv, Richard: Das letzte Kind im Wald? Geben wir unseren Kindern die Natur zurück! Mit einem Vorwort von Gerald Hüther, Verlag Beltz, Basel, 2011.

Daniela Christl