Schüchtern, zurückhaltend, in sich gekehrt – mit dem Wesen des introvertierten Kindes setzt sich Katharina Maderthaner in ihren Erziehungsfragen auseinander.   

Bis er sich alleine mit den Großeltern wohl und sicher gefühlt hat, hat bei meinem Sohn länger gedauert als bei vielen Kindern unserer Umgebung. Es brauchte auch mehr Zeit, bis er anderen Erwachsenen gegenüber seine Wünsche und Bedürfnisse aussprechen konnte, ob-wohl er einen großen Wortschatz hat und unter uns Eltern ununterbrochen plaudert. Mein Sohn zählt von seiner Veranlagung her zu den eher introvertierten Kindern. Seit ich das Buch „Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt“ von Susan Cain gelesen habe, betrachte ich die dazugehörigen Wesenszüge vielschichtiger. Und mit Staunen.
Chancen sehen

Introvertierte Kinder sind Neuem gegenüber vorsichtiger, tasten sich an neue Situationen und Personen heran und bauen nach und nach Sicherheit auf. Dabei nutzen sie eine genaue Beobachtungsgabe und zeigen sich als sehr sensibel und feinfühlig, so Cain. Nach zu viel So-zialkontakt brauchen sie häufig Erholung. Sie regenerieren im Spiel allein oder mit engen Bezugspersonen. Interessant ist, dass Introvertierte auf biologischer Ebene tatsächlich mehr Reize und diese auch intensiver wahrnehmen als extrovertierte Menschen im Vergleich. Dadurch sind sie an Reizen schneller gesättigt und als Kehrseite davon auch rascher überfordert.

Introvertierte Menschen zeichnen sich in der Regel durch Feingefühl und Fantasie aus, haben tiefergehende Freundschaften bei weniger Sozialkontakten und können sich besonders in eine Aufgabe vertiefen. Selbstverständlich sind diese Eigenschaften nicht auf introvertierte Personen beschränkt, Cain beschreibt typische Wesenszüge auf Basis mehrerer Studien.

Herausforderungen meistern
Durch die höhere Reizwahrnehmung können Sozialkontakte, vor allem in Gruppen, eine be-sondere Herausforderung für introvertierte Kinder sein. Sie brauchen länger, bis sie sich sicher fühlen, denken mehr darüber nach, was sie sagen möchten und tun sich schwerer, einen Platz in einer Gruppe von Leuten zu finden. Speziell der Schulalltag birgt mit den vielen Kindern, der Lautstärke und Gruppenarbeiten einige Lernaufgaben für introvertierte Kinder.

Zu Hause kann man konkrete Strategien überlegen, wie es mit MitschülerInnen umgehen könnte, wie es bei Sozialkontakten Raum gewinnen, etwas von sich preisgeben oder die Initi-ative ergreifen kann. Bereichernd sind Ruhezeiten und angenehme Erlebnisse der Kompetenz, z. B. durch Hobbys.

Das Meer kennenlernen
Cain beschreibt eine Familie am Strand, die erstmals am Meer ist. Das Kind traut sich nicht ins Wasser zu gehen. Die Eltern werden es weder ins Wasser stoßen, noch akzeptieren, dass es sich den gesamten Urlaub lang nicht ins Wasser wagt. Sie werden zuerst am Strand spie-len, die Wellen beobachten. Dann dem Wasser jeden Tag näher kommen, mal die Zehen hineintauchen und die Wellen spüren. Bis das Kind bereit ist, weiter zu gehen.

Beobachte, wann dein Kind eine Ermutigung braucht, um seine Grenzen erweitern zu können und wann es Schutz vor Reizüberflutung benötigt. Führe es in kleinen Schritten an neue Er-fahrungen heran, ohne es zu überfordern. Begleite, ziehe dich schrittweise zurück und bleibe dabei im Hintergrund verfügbar.

 

Für mehr Freude im Leben mit Kindern!
Katharina Maderthaner, MSc (Counseling)
katharina.maderthaner@gmx.net