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Alle Gefühlsregister ziehen

Von Babys bis hin zu alten Menschen - ohne Berührung trocknen wir aus wie eine Pflanze. (Foto:  jutta rotter/pixelio.de ) [1]

Von Babys bis hin zu alten Menschen - ohne Berührung trocknen wir aus wie eine Pflanze. (Foto: jutta rotter/pixelio.de )

Jeder von uns braucht Berührung – und bekommt sie immer seltener. Warum Körperkontakt nicht nur als Kind notwendig ist und mit welcher Kraft die Berührung wirkt.


Ein Dasein ohne Berührung ist nicht denkbar – und nicht machbar. Wir brauchen Berührung, um uns normal und gesund zu entwickeln. Vom Anfang des Lebens bis zum Ende, als Baby ebenso wie als alter Mensch. In der heutigen Gesellschaft geht der zwischenmenschliche Kontakt jedoch immer mehr unter. Insbesondere die Berührung von fremden Menschen empfinden wir als sehr unangenehm. Kommt uns jemand zu nahe oder berührt uns unvermittelt am Arm, reagieren wir oft mit heftiger Zurückweisung – innerlich und oft auch äußerlich.

Und das, obwohl unser Körper sich nach Berührung sehnt. Jede Berührung erzeugt die Liebeshormone Dopamin und Oxytozin im Körper. Diese machen uns nicht nur glücklich, sondern sorgen auch dafür, dass wichtige Körperfunktionen erhalten bleiben. Sie senken den Blutdruck, verringern den Kortisolspiegel und verbessern die Wundheilung.

Was im Körper bei Berührung passiert
Schon von klein auf ist der Körper auf Berührung angewiesen, um besser funktionieren zu können. Doch vorgemerkt: Der Körperkontakt muss wohlmeinend sein. Dann hilft er, beispielsweise auch unseren Wärmehaushalt, das Immunsystem und Herz-Kreislauf-System zu regulieren. Für Babys ist es daher wichtig, gerade in den ersten Wochen und Monaten viel Kontakt zu den Eltern zu haben. Im ersten Lebensjahr nimmt ein Baby sich noch nicht als eigenständiges Wesen wahr und fühlt sich noch mit der Mutter verschmolzen. Erst ab etwa drei Jahren ist das Kind in der Lage, sich als ein unabhängig von der Mutter existierendes Wesen wahrzunehmen. Entwicklungspsychologisch braucht es diese Nähe, damit die Körperfunktionen sich gut regulieren. Trägt man ein Kind im Tragebuch am eigenen Körper, kann es so durch die Nähe die Herzfrequenz und Temperatur auf die der Mutter einstellen und langsam entwickeln, wie der Körper „gepolt“ sein soll.

Die Fähigkeit, Berührung zu fühlen, entwickeln Babys schon früh. Der Tastsinn ist der erste, der von allen Sinnen entsteht. Schon fünfeinhalb Wochen nach der Zeugung kann ein Embryo Berührungen der Lippen oder Nase spüren.

Auch Erwachsene brauchen Berührung
Doch auch wenn wir älter werden, brauchen wir Berührung und Nähe – wenn auch nicht so viel wie als Kinder. Es gibt auch ein Zuviel an Berührung. Während Babys jedoch kaum jemals zuviel berührt werden können, ändert sich das in der Pubertät. Auf die Dosis kommt es daher an.

In unserer Kultur ist es jedoch eher so, dass ab der Pubertät eher zu wenig Berührung stattfindet. Wir leben in einer berührungsarmen Gesellschaft. In unserer materiellen und erfolgsorientierten Welt ist der Platz für zwischenmenschliche Nähe extrem geschrumpft.  Dass wir trotzdem noch Nähe brauchen, zeigt sich dann in anderen Ausprägungen: Wir streicheln über die Oberfläche des Smartphones und gehen zur Massage, um zumindest in homöopathischen Dosen die mangelnde Berührung zu kompensieren. Auch beim Begrüßen berühren wir uns immer seltener. Sich die Hände zu schütteln, wenn man jemandem begegnet, kommt heutzutage eher ins Hintertreffen. Das Winken hat den Handschlagcharakter abgelöst.

Lernen können wir Mitteleuropäer hierbei von Kulturen, die berührungsfreudiger sind. Die Lateinamerikaner und Südeuropäer umarmen einander häufig. Auch im Gespräch berühren sie einander deutlich öfter als wir. Lernen können wir hier auch von den Kindern: Sie machen kein Hehl aus ihrem Bedürfnis nach Zuwendung und fordern diese offen ein. Sie setzen sich beim Vorlesen ganz selbstverständlich auf den Schoß von Eltern oder Großeltern. Und vor dem Einschlafen bestehen sie auf Streicheleinheiten.

Manuela Hoflehner