Ein fliegender Maulwurf zeigt unbändige Lebenslust

Mindestens so absurd wie ein schwimmender Schmetterling erscheint uns ein Maulwurf, der plant, sich in die Lüfte zu erheben.

Buchcover: Der kleine Erdvogel/Verlag Beltz & Gelberg

„Ich will fliegen!“, sagt der Maulwurf, der so klein ist wie ein Eichenblatt. Er wohnt nicht nur im Dunkeln, noch dazu ist er klein und pummelig, wie Maulwürfe eben sind. Kein Wunder also, wenn die Mutter pragmatisch feststellt: „Wir leben unter der Erde. Wir fliegen nicht.“

Kommt uns das bekannt vor?

“Bleib am Teppich! Das geht doch niemals gut” –  “Hochmut kommt vor dem Fall” – Unser Sprachgebrauch kennt viele Phrasen, mit denen wir uns am Boden halten. Uns und, aus Angst und Sicherheitsbedürfnis, nicht selten auch unsere Kinder. Dabei geht es im Leben um nichts anderes: spielerisch die Grenzen eigener Fähigkeiten ausloten, seine Flügel ausbreiten, abheben und frei sein.

Durchhaltevermögen

Keines der Tiere, denen der Maulwurf vom Wunsch des Fliegens erzählt, bestärkt ihn darin. Weder die Kuh, noch die Fliegen, die sich am Fladen freuen. Der Hahn, umgeben von seinen Hennen in Krankenschwesternkostümen, kann nur vom Scheitern berichten und der hochnäsige Storch spricht in Rätseln.

Maulwurfmutter ist vernünftig: Maulwürfe sind fast blind. Bereits auf dem Vorsatzpapier im Buchdeckel wird das klar mit herumfliegenden dunkelgrauen Gegenständen aus der Geschichte – die man danach alle suchen kann und auch finden wird! Dafür ist das Gehör der Tiere umso besser ausgebildet: Die Eule, weise wie immer, ruft es dem Kleinen in Erinnerung. „Dann flieg doch mit den Ohren. Hörst du den Wind durchs Gras streichen? Hörst du sein Rascheln in den Blättern und sein Pfeifen zwischen den Ästen“ …

Je länger er dem Rauschen lauscht, desto weiter trägt es ihn davon.

Kraft seiner Fantasie und mit dem Aufkommen eines heftigen Sturmes gelingt es dem Erdenschaufler, abzuheben und in höhere traumhafte Sphären zu gelangen.

Witzig-schräge Viecherei

Die geniale Eva Muggenthaler (bekannt spätestens seit ihrem preisgekrönten „Der weiße und der schwarze Bär“, Text von Jürg Schubiger) nimmt uns geradewegs dorthin mit, wenn sie in diversen kuriosen detailverliebten Parallelhandlungen ihren Spaß auf uns überspringen lässt:

  • Eine Ameisenfamilie trägt im Gänsemarsch Käsestückchen aus einem weggeworfenen alten Gummistiefel.
  • Eine flotte Hummel spielt mit einem ferngesteuerten gelb-schwarz gestreiften Zeppelin.
  • Die Geschichte entlang kriecht ein roter Salamander mit weißen Punkten. Zum Schluss schaukelt er auf einem Grashalm und hat so teil am allgemeinen Lebensgefühl der Unbeschwertheit.
  • Ein winziger Leuchtkäfer auf Wanderschaft – zünftig mit Steirerhut, Stock und Proviant im Bündel – fliegt, an einen Löwenzahnsamen geklammert, pfeilschnell dahin.
  • Die Kuh lässt (wenigstens!) einen fliegen.

Nebenbei versteckt die Künstlerin in den Zeichnungen viele Bastel- und Spielinspirationen mit Naturmaterialien.

Einziger klitzekleiner Kritikpunkt: Die Geschlechterrollen. Maulwurfmutter saugt Staub und kocht, während Maulwurfvater sich hinter seiner Zeitung versteckt, egal ob am Klo oder Esstisch. Das kann selbst der Humor nicht ganz wegbügeln. Trotzdem, ein spitze Bilderbuch für Kinder ab 4 Jahren, das viel mehr als nur eine gute Geschichte bereithält.

Der kleine Erdvogel. Von Oliver Scherz und Eva Muggenthaler. Ab 4 J. 2013 im Verlag Beltz & Gelberg, 978-3-407-79523-6, 13,40 Euro

Der weiße und der schwarze Bär. Von Eva Muggenthaler. Text von Jürg Schubiger. Ab 4 J. 2007 bei Hammer, 978-3-7795-0078-0, 15,40 Euro

 

Tipp: Weitere Kollegen des Erdvogels

Buchcover: Diogenes Verlag

Buchcover: Peter Hammer Verlag

Der Maulwurf Grabowski. Von Luis Murschetz. Ab 4 J. Seit 1972 im Diogenes Verlag, 978-3-257-00542-4, 16,40 Euro

Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. Von Wolf Erlbruch. Ab 4 J. 24. Auflage 1999 im Peter Hammer Verlag,  978-3-87294-407-8, 14,30 Euro

 

 

Veronika Mayer-Miedl