Foto: Fotolia/Merydolla

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Wolfgang Nell beschreibt, wie sein Sohn mit Vergänglichkeit und dem Verlust eines lieben Freundes umgeht. Über kindgemachte Raketen, die den Verstorbenen in den Himmel befördern – und die Zurückgebliebenen wieder mitten ins Leben.    

Sohn: „Ich werde M. eine Rakete bauen.“
Ich: „Warum willst du ihm eine Rakete bauen?“
Sohn: “Damit M. schneller in den Himmel kommt.”

Mit diesen Worten begann mein ältester Sohn vor drei Jahren, er war damals fünf Jahre alt, mit dem Bau einer Weltraumrakete. Aus einer alten Bananenschachtel gestaltete er ein bestens ausgestattetes Cockpit. Inmitten seiner Bastelarbeiten, noch waren die letzten Vorbereitungen zum Countdown nicht abgeschlossen, drängte es mich, meinen Sohn über den Tod aufzuklären: “Du weißt schon, dass das hier keine richtige Rakete ist!“ Ein großer Seufzer drängte sich aus seinem Mund: “Ach, Papa…natürlich ist das keine echte Rakete – das sieht doch jedes Kind“.

Ich bin kein Kind. Ich bin ein erwachsener Mann. Vielleicht habe ich deshalb nicht bemerkt, dass mein Sohn inmitten eines Trauerprozesses stand. Mit dem Bau dieser Rakete hatte er begonnen, M., unseren lieben Freund, zu verabschieden. Er hat ihm, dem Himmel und die Erde so wichtig waren, den Himmel gewünscht. Am Vorabend seines tödlichen Unfalls hatte er noch einige Stunden mit unseren Kindern gespielt und sie in die Welt des DKT-Spiels eingeführt. Noch immer dringt beim Öffnen der Spielbox ein kleiner Funke seiner Gegenwart heraus.

Mein Sohn hat M. in den Himmel verabschieden können. Der Himmel war und ist für ihn nicht religiös konnotiert. Der Himmel ist das Andere, das wir nicht kennen. Wir wissen alle leibhaftig darüber Bescheid: Menschen sind sterblich. Mein Sohn war selbst vor diesem tragischen Unfall unseres Freundes schwer erkrankt. Mit seinen fünf Jahren hat er das Potential seiner Sterblichkeit wahr-genommen. Wir haben den Tod unseres Freundes wahr-haben lernen müssen. Ich habe erfahren, dass mein Sohn diese menschliche Setzung der Sterblichkeit auf seine Art und Weise wahr-nehmen kann.

Ich habe mit Freunden die Thematik des guten Redens mit Kindern über Tod und Sterben sehr intensiv besprochen. Mich interessierte, wie viel Raum sie in ihrem Familienalltag diesen Themen geben. Bei vielen musste ich zuerst eine unsichtbare Wand einer Abneigung, über den Tod sprechen zu wollen, einfühlsam überwinden. Tod, Sterben und Krankheit werden sehr sparsam in den Mund genommen und trotzdem habe ich letztendlich alle Eltern von den Fragen und Antworten, Fantasien und Vorstellungen ihrer Kinder zu diesen Begriffen erzählen hören. Es tut so gut, diese oftmals humorvolle und witzige Vorstellungen von Kindern zu hören, wie sie den Tod und das Sterben inmitten ihres Lebens integrieren.

Alljährliche Feste wie Allerheiligen und Allerseelen, Halloween oder Dia de Muertos in Mexiko laden uns ein, das Leben vom Ende her zu denken, damit wir uns liebevoll, lustvoll und verantwortungsvoll um eben dieses Leben sorgen. Meine Familie und mich erinnern diese Zeiten im Herbst an unseren Freund. Ich habe meinem Freund auch eine Rakete gebaut – zumindest in meinen Gedanken. Es fällt schwer, geliebte Menschen fliegen zu lassen. Ich habe meinen Sohn in dieser Rakete sitzen sehen. Er ist wieder ausgestiegen und steht mit seinen Beinen fest auf dieser Erde.

Wolfgang Nell (44), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.