Derzeit entsteht in Brüssel eine neue EU-Saatgutverordnung. Diese bedroht viele der heimischen seltenen und alten Sorten von Obst, Gemüse und Getreide. Nach zahlreichen Bürgerprotesten wird die Verordnung umgeschrieben – allerdings nur in geringem Maße.  Der Verlust der Artenvielfalt wird uns 2050 1,1 Billionen Euro pro Jahr kosten.

Uralte Kirschen, seltene Zucchini, die Tomate aus Omas Garten – viele dieser Köstlichkeiten könnten bald für immer weg sein. „Die neue EU-Saatgutverordnung drängt seltene und alte Sorten von Gemüse, Obst und Getreide in die Illegalität”, sagt Iga Niznik, Referentin bei Arche Noah, dem Verein zur Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt, und warnt, dass viele unserer lokalen Sorten von Obst, Gemüse und Getreide für immer aussterben könnten. 

Aufwändige und teure Verfahren 

Arche Noah und die Umweltschutzorganisation Global 2000 haben die Entwürfe der EU-Kommission zum neuen Saatgutverkehrsrecht analysiert. Heidemarie Porstner, Agrarsprecherin von Global 2000, erklärt: „Bei der Weitergabe von Saatgut wird es zu massiven Einschränkungen kommen, die administrativen Auflagen sollen genauso für den großen Saatgutkonzern und den kleinen Nebenerwerbsbauern gelten.” Um weitergegeben werden zu dürfen, sollen seltene und bäuerliche Sorten künftig den gleichen Zulassungsverfahren unterzogen werden wie Industriesorten. 

BäuerInnen und GärtnerInnen, die selbst vermehrtes Saatgut auf einem Markt ohne Sortenzulassung trotzdem weitergeben wollen, droht ein Verwaltungsstrafverfahren. „Einer Bäuerin, die vielleicht einem Freund ein paar Tomatensamen schenken will, droht mit der neuen Verordnung eine Verwaltungsstrafe”, fasst Niznik zusammen. 

Endgültiger Vorschlag Mitte 2013 

Die Überarbeitung des europäischen Saat- und Pflanzgutverkehrsrechts läuft bereits seit 2008. Aus den über 12 EU-Richtlinien wird nun eine EU-Verordnung – das bedeutet, dass es bei der Umsetzung keine nationalen Spielräume mehr gibt. Der endgültige Vorschlag der EU-Kommission wird derzeit für Mitte 2013 erwartet. Dann müssen das EU-Parlament und der Rat den Entwurf erörtern und darüber abstimmen. Nach zahlreichen Protesten gegen die Verordnung wurde der Entwurf leicht abgeändert. Arche Noah und Global 2000 sehen darin jedoch keine gravierende Verbesserung für die alten Raritäten und Kleinbauern. Die Verordnung, die offiziell dem Konsumentenschutz dienen soll, verlangt einheitliche Obst- und Gemüseerträge – wie die bekannte EU-weite Gurken-Norm. Sortenraritäten können dies jedoch nicht garantieren. Bei ihnen gibt es zu viel Variation in Geschmack und Optik, als dass Bauern bei ihnen einen einheitlichen Standard züchten könnten.

“Der Knackpunkt bleibt, dass die neue Gesetzgebung nun auch den nicht-kommerziellen Bereich regeln soll. Saatgut darf nur noch unter Auflagen weitergegeben werden. Selbst Privatpersonen müssen Etikettierungsvorschriften einhalten, wenn sie Saatgut gegen Geld weitergeben wollen. Für Landwirte ist es noch strenger geregelt; sie dürfen Saatgut ohne Auflagen nicht einmal herschenken. Eine große Hürde ist die behördliche Registrierung. Unsere Behörden sollen bestimmen, welche Sorten erhältlich sein sollen, und welche nicht. Ohne Registrierung darf Saatgut nur in kleinen Mengen verkauft werden. Besonders für LandwirtInnen und kleine Betriebe wird eine unmögliche Hürde geschaffen. Somit bleiben die alten und seltenen Sorten im Nischenmarkt, die Vielfalt wird abgedrängt und die Agrarkonzerne diktieren mit ihren Einheitsprodukten, was auf unsere Teller kommt”, so Victoria Zedlacher von Global2000.

Wir brauchen Vielfalt

Die Vielfalt an Nutzpflanzen ist eine Grundlage unseres Lebens. In den vergangenen hundert Jahren haben wir weltweit etwa 75 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Vielfalt verloren. Vielfalt sichert, dass unsere Landwirtschaft sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann. Über Jahrhunderte hat sich gezeigt, dass alte und seltene Sorten Resistenzen gegen Schädlinge aufbauen konnten. Die Sorten passen sich an klimatische Veränderungen an und brauchen weniger und zum Teil gar keine Pestizide.

Die EU-Saatgutverordnung, wie sie derzeit inoffiziell im Raum steht, fördert die Konzentration von Saatgut in den Händen weniger multinationaler Konzerne. Aktuell dominieren die zehn größten Agrarkonzerne bereits 75 Prozent des Saatgutmarktes. 

Was wir tun können

Global 2000 und Arche Noah haben eine Petition ins Leben gerufen, die Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich und die EU-Abgeordneten auffordert eine EU-Saatgutverordnung zu erwirken, die die Vielfalt zulässt und die seltenen und alten Sorten nicht in die Illegalität treibt. Das bedeutet: 

•       Keine verpflichtende Sortenzulassung und Zertifizierung für samenfestes Saat- und Pflanzgut. 

•       Der Austausch von Saat- und Pflanzgut muss legal bleiben. 

Unterschreibe die Petition unter www.freievielfalt.at

Was wir auch tun können, ist uns für alte und aussterbende Pflanzensorten zu engagieren – sie selbst anzubauen, bei Bauern zu kaufen, die sich auf diese spezialisiert haben, oder Initiativen wie Arche Noah zu unterstützen, die sich der Idee verschrieben haben, die alten Sorten zu erhalten. Laut der TEEB-Studie wird uns der Verlust der Artenvielfalt im Jahr 2050 bereits 1,1 Billionen Euro pro Jahr kosten. Und wir KonsumentInnen werden bis dahin eine viel kleinere Auswahl an natürlichen Lebensmitteln haben. Es geht um die Frage: Was landet auf meinem Teller? Möchte ich die Wahl haben, Tomatenraritäten zu kaufen und den Unterschied zu schmecken, oder von der Industrie vorgegebenen Einheitsbrei essen?

Arche Noah – Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt

 

Manuela Hoflehner