Nachhaltigkeit ist ein viel diskutierter und fast inflationär verwendeter Begriff. Doch warum ist er so wichtig geworden und omnipräsent?

Universitätsprofessor Helmut Haberl vom Institut für soziale Ökologie an der Universität Klagenfurt beschäftigt sich schon lange mit dem Begriff. Für ihn ist Nachhaltigkeit ein “absolutes Schlüsselthema” unserer Gesellschaft geworden: „Um ökologische Probleme, Konflikte und Kriege zu vermeiden wird es notwendig sein, ein ganz anderes Muster an Ressourcennutzung zu erreichen, als wir es bisher gewohnt waren. Die Welt wird es nicht aushalten, wenn die restlichen Dreiviertel der Menschheit das Ressourcenverbrauchsmuster der Industrieländer erreichen werden.“

Ursprung in der Forstwirtschaft

Ein Blick zurück in die Geschichte offenbart, dass Nachhaltigkeit schon einmal für die Menschen ein überlebenswichtiges Thema war. Durch exzessive Rodungen, Kriege und die Industrialisierung gingen die Holzerträge in Europa drastisch zurück. Das führte die Europäer im 18. Jahrhundert an den Rand einer Katastrophe – wurde doch Holz damals in überdimensionalem Ausmaß für alle Lebensbereiche genutzt.

„Hans Carl von Carlovitz, ein leitender Beamter des Heiligen Römischen Reiches, stellte daher im 18. Jahrhundert Regeln über die nachhaltige Bewirtschaftung forstwirtschaftlicher Güter auf“, erzählt Helmut Haberl. „Demnach durfte nicht mehr Holz eingeschlagen werden, als nachwächst. Diese neue wirtschaftsökologische Denkweise wurde schließlich im Forstwirtschaftsgesetz verankert, wo sie bis heute gültig ist.“

Seither ist der Begriff auch in unseren Lexika festgehalten. Er bedeutet so viel wie „etwas, das man für Notzeiten zurückbehält“ (Duden), andauern, anhalten und wirken (Kluge).

 

Globales Thema mit vielen Fragezeichen

Doch damit ist die Karriere des Begriffs noch nicht abgeschlossen. Im 19. Jahrhundert nutzen und übertragen verschiedene Nationen das neue Handlungsmuster auf die landwirtschaftliche Produktion.

Ende des 20. Jahrhunderts wird der Begriff schließlich auf globale Ebene gehoben und für eine neue weltweite wirtschaftliche und soziale Denk- bzw. Handlungsweise verwendet. Ausschlaggebend waren hierfür internationale Diskussionen rund um ökologische und soziale Missstände, wie Armut, katastrophale sanitäre Bedingungen, Hunger und Säuglingssterblichkeit und die Lösung dieser Missstände durch wirtschaftliche Entwicklung und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Vor allem die Veröffentlichung des Berichts “Our Common Future” der Brundtlandt-Kommission – einer UNO-Kommission – führte zu heftigen internationalen Diskussionen und verhalf dem Thema und Begriff zum weltweiten Durchbruch.

Haberl: “Seither ist die Frage nach Nachhaltigkeit ein viel diskutiertes und extrem komplexes Thema auf vielen verschiedenen Ebenen geworden. Ich kann sie mir als Individuum, Haushalt, Gemeinde oder als Nationalstaat stellen. Auf ländlicher und städtischer Ebene. Auf regionaler, lokaler, EU-weiter und globaler.

Um Nachhaltiges von nicht Nachhaltigem zu unterscheiden zu können braucht es für jede dieser Ebenen unterschiedliche Bewertungskriterien und Ziele wie zum Beispiel Klimaschutzziele, einen Klimaindex für Unternehmen oder Labels, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.”

Wie schwer es ist, diese Ziele durchzusetzen bzw. entsprechende Partner zu finden, hat sich vor allem bei den Klimaschutzkonferenzen mehrmals gezeigt. Dennoch gibt es zahlreiche größere und kleinere Initiativen, die den Nutzen, den ein umwelt- und menschenwürdiges Handeln mittel- bis langfristig bringt, erkennen und dementsprechend verantwortungsbewusst handeln.

 

Buchtipp:
Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“, Ulrich Grober, Verlag Antje Kunstmann Verlag.

 

Labels

Heutzutage sind hunderte Nachhaltigkeits-Labels und Siegel auf dem Markt. Manche davon werden streng geprüft, andere existieren auf Basis loser Selbstverpflichtungen.

Eine Orientierungshilfe im Nachhaltigkeitsdschungel bietet das globale Verzeichnis von brandoscope. Hier werden Unternehmen und Siegel aus unterschiedlichen Branchen gelistet, die das Ziel des nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens anstreben.

 

Weitere beispielhafte Siegel sind neben Fair Trade, FSC oder MSC 

Flower Label Program: Für eine sozial- und umweltverträgliche Produktion von Schnittblumen, Farn, Pflanzen und Schnittgrün  
ON CERT: Für langlebige und reparierfreundliche Produkte
Green Promotion: vertreibt Werbeartikel, die unter ökologischen und nachhaltigen Aspekten produziert werden 
Der blaue Engel: Die älteste umweltschutzbezogene Kennzeichnung für ökologische Produkte und Dienstleistungen 
Total E-Quality: Für Chancengleichheit; wir u.a. von Daimler AG Mercedes-Benz Werk Sindelfingen, Wüstenrot Bausparkasse und Bahn AG geführt
TourCert: Für verantwortungsvollen Tourismus oder Ecovin (Bundesverband ökologisch arbeitender Weingüter) 

Infografik

Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit

Ursprünglich (18. Jh.) nur ökologische und wirtschaftliche Dimension im Nachhaltigkeitskonzept verankert. In den 1980ern werden Thema und Begriff um die soziale Dimension erweitert und wirtschaftliche Komponente verstärkt. Eine vierte Dimension, die kulturelle Nachhaltigkeit wird gerade viel diskutiert.

 

Sabine Blöchl