Foto: Fotolia/Soloviova Liudmyla

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Ausschließlich gutes Vorbild zu sein ist für heutige Väter völlig illusorisch, findet Jesper Juul in seinem neuen Buch „Mann & Vater sein“. Darin integriert er die Erfahrungen, Emotionen und Reflexionen von Vätern, die er im Lauf seiner 40-jährigen Praxis kennen gelernt hat, sowie dreizehn Interviews mit Vätern in unterschiedlichen Lebenssituationen.

Diese erzählen authentisch über die Bedeutung des Vaterseins, den eigenen Vater, Schwierigkeiten und Ängste, Partnerschaft sowie die Arbeitsaufteilung zwischen Mann und Frau. Juul erläutert sehr anschaulich, warum es Männern – bei aller Motivation – so schwer fällt, ihre Rolle als „neue“ Väter zu finden.
•    Mütter pflegten immer persönliche Beziehungen zu anderen Frauen und vor allem zu ihren Kindern. Männer hatten das nicht. Und dann stehen sie plötzlich vor ihren Kindern, die sie bedingungslos lieben und sind völlig überfordert. Deshalb fühlen sich Väter oft unsicher und sind ängstlich im Umgang mit Kindern. Sie sind es nicht gewohnt und haben es nicht gelernt.

•    Denn ihre Väter waren entweder abwesend und wurden idealisiert oder sie waren die gefürchteten und oft verhassten Bestrafenden. Vor allem Mädchen idealisierten oft ihre Väter, sie blieben ewig Papas Prinzesschen – dabei blieb die Beziehung hohl.
•    Der Erfahrungsschatz heutiger Väter ist dementsprechend arm – und sie stehen Frauen gegenüber, die immer stärker, selbständiger und fordernder geworden sind.
Die Nähe und Beziehung zum eigenen Kind als Wert anzusehen, fängt in der heutigen Väter-Generation erst an. Auf jungen Vätern lastet heute eine große Bürde: Die Forderung, sie mögen für ihre Kinder positive Vorbilder sein. Aber Juul entwarnt: Ausschließlich ein „gutes“ Vorbild zu sein sei völlig illusorisch!
•    Viele junge Väter haben große Angst, so zu werden wie ihr Vater. Dabei, meint Juul, könne man es allein durch die eigene Willenskraft gar nicht schaffen, das Verhalten des eigenen Vaters nicht doch zu wiederholen. Das gelinge nur, wenn man sich dabei von seinem Kind inspirieren lasse und dessen Feedback ernst nehme. Die eigenen Kinder können einem durch ihre Reaktionen auf unser Verhalten dabei helfen, erwachsen zu werden.
•    Auch hält Juul es in diesem Zusammenhang für sehr wichtig, Männergruppen zu besuchen und sich dort entsprechende Vorbilder zu suchen.
•    Wenn man zum Elternteil wird, wird das „innere Kind“ an die Oberfläche gespült. Das heißt, sowohl gute wie schlechte Erfahrungen, durch die wir als Kinder hindurchgegangen sind, Erfahrungen, die man vielleicht verdrängt oder vergessen hat, werden reaktiviert. Das ist ein guter Zeitpunkt, um mit seinem eigenen Vater über vieles zu sprechen, was bis dahin nicht angesprochen worden ist.

In der Hälfte des Buches heißt es: Jetzt wird’s langsam ernst! Wir nähern uns dem Weg, der beschreibt, wie du versuchen könntest, ein guter Partner und vielleicht auch ein guter Vater zu sein.
Und dann kommt ein wunderbarer Satz, der den meisten Männern vermutlich aus der Seele sprechen wird: „Es ist überhaupt nicht möglich, den Frauen etwas recht zu machen.“ Weil du bei dem Versuch bald sie und dich selbst verlieren wirst.

•    Um als Vater auch ein guter Ehemann zu sein, rät Juul: Wenn deine Frau immer Bescheid weiß, was im Leben eures Kindes gerade wichtig ist – egal, ob Windeln, Kleidung oder Geburtstagsfeier – dann ist sie bei euch die Verantwortliche. Und wenn es für sie in Ordnung ist und sie damit einverstanden ist, dann sieh zu, dass du diese Leistung anerkennst und ihr für ihren wichtigen Beitrag dankst.
•    Verbringe Zeit mit deinem Kind ohne die Oberaufsicht der Mutter – auch gegen ihren Protest. Schick sie mit Freundinnen ins Kino, zu einer Woche Auszeit…
•    Das Beste, was du für dein Kind machen kannst, ist, für die gute Beziehung zu seiner Mutter Sorge zu tragen.

Jeder Mann muss das Vatersein für sich erlernen. Und es ist in Ordnung, zunächst als Amateur aufzutreten und Fehler zu machen. Wie es klappen kann, ein guter Vater zu sein:

•    Juul: „Wichtiger als alles andere ist: Du musst dem Kind den Zugang zu dir selbst ermöglichen, es spüren lassen, wer du überhaupt bist – und dabei nicht Verstecken spielen. Das ist nicht leicht. Für die meisten Männer ist das der schwierigste Part.“
•    Ein guter Vater zu sein, beruhe auf allgemein menschlichen Werten. Trotzdem dürfe man als Mann und Vater seine Männlichkeit nicht außer Acht lassen, da sie sowohl für die eigenen Söhne als auch Töchter sehr wichtig ist.
•    Kinder haben das ganz besondere, unbewusste Talent, den Finger auf Wunden zu legen. Oft ist es so, dass das Kind, das sich im Umgang mit dir als das schwierigste Kind erweist, sich für dich auch als das Wertvollste herausstellt – das heißt: Es wird dein wichtigster Erzieher.

Der Däne Jesper Juul (70) ist Lehrer, Familientherapeut, Konfliktberater sowie Autor zahlreicher Ratgeber-Bücher und in Erziehungsfragen ein altbekannter und mehr als anerkannter Hase. Auch in diesem Buch schreibt er über (manchmal unangenehme) Wahrheiten und nennt die Dinge ungeschönt und sehr wohltuend beim Namen. Er schreibt ohne erhobenen Zeigefinger sehr anschaulich, lebensnah und oft zum Schmunzeln, manchmal auch zum Schlucken. Dieses Buch ist nicht nur sehr hilfreich für Väter, sondern auch für Mütter, um ihre Partner besser zu verstehen.

Jesper Juul, Ingeborg Szöllösi (Herausgeber): Mann & Vater sein. Kreuz Verlag. Freiburg, 6. Auflage 2016.

Daniela Christl