Oft läuft es in Familien klassisch ab. Der Mann verdient mehr als die Frau, und sobald Kinder da sind, reduziert sie auf Teilzeit oder bleibt gleich Zuhause. Cornelia Koppetsch und Sarah Speck haben sich Familien angesehen, die das Rollenbild umdrehen. Doch auch wenn die Frau die Hauptverdienerin ist, bleiben noch viele “typisch weibliche” Haushaltsarbeiten an ihr hängen.

Wer sein eigenes Beziehungsbild reflektieren möchte, für den ist “Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist” von Cornelia Koppetsch und Sarah Speck ein heißer Tipp. Die beiden Autorinnen haben sich verschiedenste Familienkonstellationen angesehen, in denen die Frau mindestens 60 Prozent des Netto-Haushaltseinkommens verdient. Der Mann ist für den Zuverdienst zuständig – und die Kinder. Wie das funktioniert und wo Reibungspunkte sind, sehen sie sich im knapp 300-Seiten starken Suhrkamp-Bändchen an.
Frauen sind heute autonomer, besser ausgebildet und häufiger erwerbstätig. Umgekehrt möchten viele Männer engagierte Väter sein und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Aus diesen Fortschritten ergeben sich neue Konflikte, schließlich passen Realität und tradierte Rollenbilder in vielen Familien nicht mehr zusammen: Macht er die Hausarbeit, wenn sie die Miete zahlt?

 

Verschiedene Herkunfts-Milieus

In ihren Studien haben die Wissenschaftlerinnen drei dominante Familienbilder entdeckt:
Im indiviudalistischen Milieu stehen Gleichberechtigung, Autonomie und Selbstverwirklichung im Mittelpunkt. Viele Paare kommen aus der Kreativszene, sind selbständig und leben einene egalitären Partnerschaftscode. Selbstverwirklichung im Beruf ist wichtiger als ein hohes Einkommen, der berufliche und private Freundeskreis vermischt sich.
Anders im familistischen Milieu. Hier dient die Ehe als Gemeinschaft als Leitbild und die Rollen sind komplementär verteilt. Man hegt einen oft gleichgeschlechtlichen Freundeskreis, Solidarität und Gemeinschaft werden hoch gestellt und ein enger Kontakt zu Familie und Verwandtschaft ist wichtig.
Zuletzt gibt es noch das traditionale Milieu, in dem ein ritueller Patriarchalismus vorherrscht.

Anhand dieser Milieus stellen die Autorinnen die verschiedenen Familien vor und erklären, wie es in ihnen zur Rollenumkehr kam und wie das häusliche und finanzielle Miteinander geregelt ist. Dass selbst im indiviudalistischen Milieu die völlige Gleichberechtigung noch nicht angekommen ist, wird dabei deutlich. Da der Mann sich – gesellschaftlich geprägt – oft mit der Ernährer-Rolle identifiziert, fällt es vielen schwer, abseits dessen eine Identifikation und Selbstwert zu finden. So ist es in vielen Familien nötig, dem Mann zumindest ideologisch noch das Gefühl zu geben, er sei – Geld hin oder her – doch noch der Ernährer. Viele der Frauen wollen den Eindruck vermeiden, dass der Mann benachteiligt wird. Auf der anderen Seite reden sich wiederum einige der Männer ein, sie würden signifikant zum Haushaltseinkommen beitragen, auch wenn ihr Einkommen zum Teil gerade einmal die Büro- oder Werkstatt-Kosten deckt, die durch ihre Selbständigkeit entstehen. Auch brauchen sie es oft für ihren eigenen Selbstwert, sich hierarchisch über die Frau zu stellen, beispielsweise indem sie eine männliche Machtdemonstration nach außen brauchen. Sie geben an, das System zu durchschauen und für sich zu nutzen, kreiden der Frau an, sie sei selbst schuld, wenn sie mehr arbeitet und mehr verdient, als die Familie eigentlich bräuchte, etc.
Auch am Haushalt scheiden sich oft die Geister. Obwohl die Frau den Hauptverdienst trägt, bleibt vieles vom Haushalt dennoch an ihr hängen. Die Männer kümmern sich um die Kinder und nehmen sich der männlich belegten Arbeit an, wie z.B. der Haussanierung, Gartenarbeit oder sie suchen sich Ehrenämter in der Gemeinde oder in der Kirche. Die klassische Aufteilung, dass die Frau für Innenbereiche, der Mann für das Außen zuständig ist, bleibt bestehen.

 

Genug Geld in der Kasse?

Stoff, um über die eigenen Rollenverteilungen und Rollenbilder nachzudenken, bietet das Buch genug. Wer noch mehr braucht, wird im Kapitel über die finanzielle Aufteilung fündig. Es zeigt innerhalb der Familien verschiedenste Formen, die Haushaltskosten aufzuteilen. Während die einen anteilsmäßig nach ihrem eigenen Verdienst die Kosten tragen, gibt es einige Familien, in denen die Haushaltskosten kompromisslos zu 50% von jedem getragen werden. Dass es zu Problemen führt, wenn in einer Beziehung jeder Partner 1000 Euro monatliche zum Haushaltsbudget beiträgt, der Mann jedoch nur 1100 Euro monatlich verdient, liegt dabei auf der Hand. Vielfach regeln die Familie die Problematik, indem die Frau dem Mann daher monatlich die Summe borgt oder vorschießt. Sein Schuldenberg wächst von Monat zu Monat, während sie damit jongliert, ihn dieses Machtgefälle nicht spüren zu lassen.

Während keine Familie die eigene Lebensrealität natürlich 1:1 trifft, bietet das Buch vielfachen Anstoß, über andere Methoden nachzudenken, wie tägliche Theamtiken in einer Beziehung gelöst werden können. So lassen sich die eigenen Rollenbilder überdenken und man kann sich für einen selbst ansehen, wie man eigentlich selbst im Leben steht. Die 300 Seiten sind kurzweilig, abwechslungsreich und schnell gelesen – und hinterlassen nachhaltig Eindruck.

 

“Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist”
Cornelia Koppetsch, Sarah Speck
297 Seiten, Suhrkamp-Verlag

 

Manuela Hoflehner