Familie am Sofa liest gemeinsam

Bild: wavebreakmicro- Fotolia.com

Nicht nur bei der Weinlese im Burgenland, wie in „Großvaters Geschichten oder das Bett mit den fliegenden Bäumen“ von Erwin Moser*, ist es viel vergnüglicher, wenn gemeinsam gearbeitet wird. Das gilt auch für das erste Auflesen von Buchstaben, Wörtern und Sätzen. Selbst dann noch, wenn dein Kind bereits eigene Leseroutine erworben hat.

Lesen ist Kommunikation
Es beginnt mit dem Zuhören von gesprochener Sprache. Und mit dem Sprechen selbst. Lesen ist ja Entschlüsseln aufgeschriebener Sprache, also geht dem Lesenlernen ein differenzierter Spracherwerb voraus. Und Lesen ist wie Sprechen und Zuhören ein Vorgang der Kommunikation zwischen AutorIn und LeserIn. Das ist faszinierend und läuft immer wieder neu und anders ab.

Bilder lesen
Zuerst sind es in Büchern die Bilder, die Sprache hervorrufen. Textlose Bilderbücher sind ein herrliches Werkzeug, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Im gemeinsamen Betrachten, Enträtseln und Besprechen kommen wir der Geschichte auf die Spur.

Ganz konkrete Gesprächsanlässe bietet beispielsweise das Büchlein „Frag mich!“ von Antje Damm.

In vielen Büchern für sogenannte „Erstleser“ wird der Text von Bildern begleitet. Besonders gelungen ist diese gegenseitige Ergänzung im Band „Mein glückliches Leben“ von Rose Lagercrantz mit Bildern von Eva Eriksson.

Dementsprechend lieben auch Schulkinder beim Lesen die Begleitung von Erwachsenen.
Wenn es nicht heißt: „Du kannst eh schon selber lesen.“
Sondern: „Komm, lesen wir gemeinsam.“

Lese-Tandem
In diesem Projekt des Linzer “Vereins für Interkulturelle Begegnung und Kulturvermittlung” lesen Erwachsene Schulkindern vor.

Wie beglückend gemeinsame Lektüre sein kann, merkt man aber erst, wenn man´s ausprobiert. Nicht nur „Zuerst ich ein Stück, dann du ein Stück.“ – wie es mittlerweile einige Erstlesereihen der Kinderbuchverlage als Erfolgsrezept für sich entdeckt haben.
Im gemeinsamen Dialog, im Gespräch über das Gelesene oder Gehörte liegt das Geheimnis:
Kommentieren, Hinterfragen, Nachfragen, Kritisieren der Geschichte oder Figuren macht einfach Spaß, dafür muss Zeit sein, unbedingt!
„Was meinst Du, mag der da wirklich mitfahren?“ oder „Denkst Du, das gefällt ihr?“ So kommt man den Figuren übers Papier näher und findet sich selbst.

drei Kinder sitzen am Sofa und lesen

Bild: Veronika Mayer-Miedl

Störung willkommen
Wenn dich dein Kind beim Vorlesen unterbricht, weil es etwas nicht verstanden hat oder was dazu sagen will, dann ist dies höchst erfreulich und zeigt, dass die Aufmerksamkeit voll dabei ist. Was willst Du mehr? Ein wertvolles Geschenk, um sich über die Geschichte auszutauschen. Oder über Themen zu sprechen, auf die man sonst im Alltag nicht gestoßen wäre. Und die Beziehung zu deinem Kind wird bereichert in einer Art und Weise, die dir vorher schwer vorstellbar war.

Der Geschmack deines Kindes entscheidet – und manchmal auch deiner!
Die Auswahl der Lektüre ist Geschmackssache, von der Neugier und Lust auf neue Welten bestimmt, das versteht sich von selbst. Versuche nie, gemeinsam mit deinem Kind ein Buch zu lesen, das nach den ersten paar Seiten weder dich noch dein Kind fesselt oder zum Weiterlesen animiert. Lesen als Pflichterfüllung bewirkt das Gegenteil: Es festigt womöglich die Vorstellung deines Kindes, Lesen sei lästig und öde. (Ausgenommen die ersten grundlegenden Leseübungen, die wie das Einmaleins geübt werden müssen. Doch selbst die können mit Motivation und Lust erfüllt sein.)

Altbewährtes hervorkramen
Hast du schon einmal versucht, deine Lieblingsgeschichten, die du selbst als Kind mit Begeisterung verschlungen hast, deinem eigenen Kind oder deinen Schülern vorzulesen? Vielleicht erinnerst du dich dabei auch noch an die Mühen des ersten Zusammenlautens – und hast wieder mehr Verständnis und Geduld für die Lernenden. Oder an das Wunder, wenn aus einzelnen Buchstaben plötzlich ein mit Sinn volles Wort entsteht, und der Funke der Begeisterung und Beglückung über die geniale Erfindung der Sprache und Schrift springt auf die Kinder über.

Kinder wollen lesen
Das Zeitfenster für die Entwicklung der Erstsprache (Muttersprache) schließt sich zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr. Parallel dazu zeigt sich um das fünfte Lebensjahr oft auch das größte Interesse für Zeichen, Buchstaben und Symbole. Von diesen „Vorläufern“ unserer Schriftsprache geht eine magische Faszination aus.

Unsere Kinder wollen diesen Teil der Erwachsenenwelt erobern und verstehen. Wenn wir sie im entscheidenden Moment in Ruhe (nicht im Stich) lassen und mit allem nötigen geistigen Futter versorgen, bei der Verdauung desselben, wenn nötig, als Ansprechpartner greifbar sind, dann können wir unsere Kinder im Normalfall gar nicht davon abbringen, lesen lernen zu wollen. Nachzulesen und nachzuspielen in der neuen Pop-up-Version des Buches “Der unglaubliche Bücherfresser“ von Oliver Jeffers.

Es ist wie ein Grundbedürfnis, ein fünfjähriges Kind will wissen, was da auf der Tafel steht, was dieses Verkehrszeichen bedeutet oder warum in einem fremden Land die Schrift anders aussieht. So erwirbt es sich wichtige Literacy-Kompetenzen.

Gemeinsam lesen – Probier´s aus!
… und dann kommt irgendwann die Zeit, wenn der Sohn mit einem beruhigend dicken Buch ins Zimmer verschwindet (oder sich im Sommer ins Baumhaus zurückzieht, in der Hängematte abtaucht), und man stundenlang keinen Ton hört.
Er hat den Raum seiner eigenen Vorstellungswelt betreten, in der man als Erziehungsberechtigte nicht mehr erwünscht ist.
Da kann es schon passieren, dass die Mutter mit ein wenig Wehmut an die gemütlich verschmusten Vorlesestunden zu zweit auf dem Sofa zurückdenkt …

 

* leider momentan vergriffen, soll 2013 wieder aufgelegt werden