Auf der Fahrt in die Schule, während des Unterrichts, bei den Hausaufgaben und vor dem Fernseher: Kinder sitzen. Und das den überwiegenden Teil ihrer wachen Zeit. Um den negativen Folgen dieses Bewegungsmangels entgegen zu wirken, haben manche Schulen Stehtische eingeführt.

Als seine Kinder mit der Schulpflicht begannen, bemerkte Kelly Starret etwas: Während Kindergartenkinder und Vorschüler einen natürlichen, korrekten Laufstil haben und mit dem Zehenballen auftreten, sieht es bei den Kindern ab der zweiten Schulstufe anders aus. Sie treten mit der Ferse auf und haben unnatürlichere Bewegungsmuster als ihre jüngeren MitschülerInnen.

Der Unterschied zwischen ihnen: zwei Jahre „Absitzen“. Ab dem Eintritt in die Schule verbringen Kinder um ein Vielfaches mehr Zeit sitzend. Das Resultat sind viele gesundheitliche Probleme: Übergewicht, Haltungsschäden, Rückenschmerzen. Das Risiko für Herz-Kreislauf- sowie Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes steigt.

Pilotprojekt: Lernen im Stehen
Während man in Österreich versucht, dem Bewegungsmangel mittels der täglichen Turnstunde beizukommen, wechseln einige Schule in anderen Ländern den Kurs: Sie versuchen, den Unterricht selbst aktiver zu gestalten. Kelly Starret setzte bei der Schule seiner Kinder an. Er sprach mit der Direktorin und initiierte ein Pilotprojekt: Eine Klasse erhielt Stehtische. An diesen Tischen stehen die Kinder einen Großteil der Zeit. Eine Fußstütze hilft – ähnlich wie bei Bartischen – dabei, die Wirbelsäule zu entlasten und dynamischer zu stehen. Es gibt auch Hocker, die die Kinder heranziehen können, wenn sie Abwechslung brauchen.

Das Ergebnis des Versuchs war innerhalb von Wochen klar sichtbar: Die Kinder bewegten sich mehr – wenn auch „nur“ durch minimale Bewegungen, wenn sie eine andere Position einnahmen. Sie verbrannten 15 bis 25 Prozent mehr Kalorien und waren um 12 Prozent aufmerksamer im Unterricht. Ihre Aufmerksamkeitsspanne nahm zu. Begeistert von dem Resultat startete Kelly Starret einen Spendenaufruf, um die gesamte Schule mit 350 Stehtischen auszustatten. Die Vallecito Elementary School in Kalifornien wurde damit die erste stehende Schule der Welt.

Andere Schulen zogen nach. Es gibt mittlerweile vier stehende Schule in Perth, Australien, und eine in Bristol. Die Grove House Primary School in Großbritannien lässt ihren SchülerInnen die Wahl, ob sie stehen oder sitzen wollen. Auch hier merkten die LehrerInnen sofort eine Veränderung. SchülerInnen, die zuvor den Unterricht störten und unruhig waren, waren länger konzentriert und konnten ihren Bewegungsdrang ausleben, ohne dafür sanktioniert zu werden. Wer im Unterricht aufstehen will, kann das nun tun, ohne dafür schräg angesehen zu werden.

Im Gegensatz zur täglichen Turnstunde ist die stehende Schule schneller umzusetzen und erfordert weniger Personal und Einschulung. Das Ziel und die Wirkung sind gleich – die SchülerInnen werden dazu motiviert, sich mehr zu bewegen. Übergewicht, gesundheitlichen Problemen und Haltungsschäden wird entgegen gewirkt.

Eine große Hürde gibt es für die Schulen jedoch: die Kosten. Rein aus Eigenmitteln kann sich keine Schule leisten, alle Schultische durch Stehtische auszuwechseln – weshalb die derzeit existierenden stehenden Schulen bisher aus Privatinitiativen von Eltern hervorgingen. In anderen Schulen können die LehrerInnen höchstens mehr Bewegung in den Unterricht einbauen. Wenn die Kinder jedoch 70 bis 85 Prozent ihrer Zeit sitzen, ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

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Manuela Hoflehner